Die eiserne Mamsell

Barthélémy Thimonnier


Barthélémy Thimonnier war in Arbresle im Dep. Rhone geboren 1793. Er machte in seiner Jugend einige Studien am Seminar von St. Jean, die jedoch unterbrochen wurden, wie es scheint, durch den Mangel an zureichenden Geldmitteln. Sein Vater war ein Färber in Lyon und war 1795 nach Amplepuis verzogen. Nach Aufgabe der Studien war Barthélémy Thimonnier zu einem Schneider in die Lehre geschickt. - Die Fabrikation von Tarare ließen dazumal Häkeleien mit der Häkelnadel in den Bergen um Lyon herum anfertigen und die Beobachtung dieser Tätigkeit gab unserem Thimonnier die Idee, zu einer mechanisch herzustellenden Naht. Er kombinierte einen Apparat, um die Hand der Häklerin und Näherin zu ersetzen, zugleich brauchbar zur Anwendung in seiner eigenen Profession, dem Schneiderhandwerk. Es geschah das in den Jahren 1821 - 1825. Der einfache Schneider kannte die ersten Gesetze der Mechanik nicht; um so schwieriger ward die Aufgabe, die er sich zu lösen gestellt. Vier Jahre hindurch arbeitete er wenig in seiner Werkstatt, nur eben so viel, als er mußte, um für Weib und Kind das tägliche Brot zu haben. Dagegen sah man ihn in einem isoliert gelegenen Pavillon sitzen und denken und probieren. Wie nicht anders möglich, so trat durch die Vernachlässigung seiner Geschäfte das bittere Elend an ihn heran; arm, ohne Arbeit, Kreditlos und ohne die Lust und den festen Willen, seinem Handwerk allein zu dienen, war ihm das Geschick so feindlich als möglich. So rang er nun oft mit dem Hunger, mit der Mißachtung der Welt und ließ doch nicht von seiner Idee, deren er 1829 endlich Herr wurde. Das neue Werkzeug, welches im Stande sein sollte, die Jahrtausende hindurch durch Menschenhand allein ausgeübte Näharbeit mit dem Maschinenarm zu verrichten, war erfunden und erwies sich als brauchbar. Ein Patent, - das zweite auf Nähmaschinen in Frankreich, erhielt Thimonnier 1830 und nun ging er daran, diese Erfindung weiter auszubeuten und bekannt zu machen. Da kam eines Tages der Inspektor der Bergwerke der Loire Beaunier zu ihm. Beaunier hatte von der Nähmaschine in St. Etienne, wo Thimonnier seit 1825 wohnte, gehört und wollte sie kennenlernen, in richtiger Würdigung der Tragweite eines solchen Apparates. Er sah Thimonniers Maschine funktionieren, er erkannte, daß dem roh ausgeführten Apparat eine gute und sehr wohl nutzbare Idee zu Grunde lag und veranlaßte Thimonnier, nach Paris überzusiedeln. Durch Beauniers Einfluß kam schnell eine Verbindung zwischen Thimonnier und dem Hause Germain, Petit & Cie. zu Stande, deren nächste Folge der Bau und die Aufstellung von 80 Nähmaschinen für Militärkleidung war. Thimonnier ward Direktor dieser ersten Maschinenwerkstatt für Näherei. Doch wie die Spinner die Hargreaves'sche Spinnmaschine, die Seidenweber die Jacquard'sche Webmaschine nicht als ein Hilfswerkzeug annahmen, mit thimonnier dessen Hilfe sie mehr und bessere Arbeit zu liefern im Stande wären, welches sie einer Menge beschwerlicher Arbeiten überhob, - so betrachteten auch die Schneider von Paris diese ersten Nähmaschinen mit Mißtrauen, mit Unwillen. Sie fürchteten sie, da sie so viel mehr leisteten als die menschliche Hand. Die falsche Furcht gebiert die Unüberlegtheit, das Verbrechen. So auch hier. Alle Schneider und Schneidergesellen von Paris rotten sich zusammen, erstürmen die Nähfabrik, warfen die Maschinen zum Fenster hinaus oder zertrümmerten sie und erst, nachdem das Zerstörungswerk vollendet war, gelang es die Empörung zu unterdrücken, die Rädelsführer zur Strafe zu bringen. Die Absicht der Empörer, die Nähmaschine zu vernichten, war auf Jahre hinaus gelungen, - aber nur auf einige Jahre. Die Firma zögerte die Anlage zu erneuern. Thimonnier ward angeklagt, der Unsolidität und dem Betruge Vorschub zu leisten, da die Maschinennähte (einfacher Kettenstich) schnell sich lösten. Zum Unglück für diese Erfindung starb 1832 auch Beaunier; der letzte Zusammenhang zwischen dem Hause Germain, Petit & Cie. und Thimonnier schwand, die Verbindung ward gänzlich aufgehoben und Thimonnier, so arm als zuvor, sah sich gezwungen, Paris zu verlassen und nach seiner Heimatstadt Amplepuis zurückzukehren. Aber das unverdiente Schicksal seiner Erfindung ließ ihn nicht schlummern. Von neuem wandte er sich nach Paris 1834, um, wenn auch langsam, seine Maschine zur Anerkennung zu bringen. Er arbeitete als Schneider selbst auf seiner Maschine und sann dabei stets auf weitere Verbesserung. Thimonnier erreichte damit seinen Zweck nicht. Da faßt er den Plan, mit seiner Maschine sein Vaterland zu durchziehen und sie so zur Kenntnis seiner Landsleute zu bringen und so ihre Vorzüge zu beleuchten. Über diese Reise Thimonniers mit seiner Maschine nahm schnell einen kläglichen Charakter an und verfehlte den Zweck gänzlich. Die Maschine auf dem Rücken zog Thimonnier von Stadt zu Stadt. Hier und da gelang es ihm, indem er die Funktion der Maschine gleichsam als eine Kuriosität hinstellte, Abendvorstellungen mit derselben gegen ein geringes Entree zu arrangieren. Dennoch nicht entmutigt, begann Thimonnier nach seiner Rückkehr nach Amplepuis selbst Maschinen zu bauen und diese zum Verkauf anzubieten. Allein schon die Bezeichnung Maschinen zur mechanischen Herstellung von Nähten schreckte jeden Käufer zurück; man scheute sich, ein solches System zu benutzen. Der unermüdliche Erfinder hatte es 1845 in der Verbesserung seiner Maschine so weit gebracht, daß dieselbe per Minute 200 Stiche zu machen im Stande war. Er nahm darauf ein neues Patent und dieses zog die Aufmerksamkeit des Herrn U. Magnin auf sich. Magnin prüfte die Nähmaschinen Thimonniers, fand sie vortrefflich und assoziierte sich mit dem Erfinder. Beide fabrizierten nun in Bille Franche (im Dep. Rhone) Nähmaschinen, das Stück zu 50 Frs. Diese Verbindung prosperierte ein wenig. Thimonnier suchte unablässig zu verbessern und so folgte 1848 bereits ein neues Patent den früheren. Die Fabrikanten nannten diese Maschine Couso=Brodeur, weil sie gestattete, Schnüre zu fertigen, zu sticken und in allen Sorten Geweben zu nähen vom Mousselin bis zum Tuch und selbst in Leder. Diese Maschine hatte eine Geschwindigkeit von 300 Stichen per Minute. Eine drehbare Nadel erlaubte sogar Kreise, Bogen Arabesken zu sticken ohne Bewegung des Stoffes selbst. - Bis zu dieser Zeit waren alle Nähmaschinen Thimonniers in Holz konstruiert. Jetzt stellte er dieselbe auch in Eisen her und nahm auf eine solche für England ein Patent. Diese Maschinen arbeiteten bereits mit großer Präzision.
Da trat die Revolution vom Februar 1848 ein und vernichtete die günstigen Erfolge, welche Thimonnier endlich für seine Erfindung erreicht hatte. Gezwungen durch Geschäftskalamität cedirte Thimonnier sein englisches Patent einer Kompagnie zu Manchester, blieb wenige Monate nur in England und kehrte dann nach Frankreich zurück 1849. Die große internationale Ausstellung in London 1851 schien für diese Nähmaschine viel günstige Gelegenheit zum Bekanntwerden in der Welt zu bieten. Thimonnier sandte seine Maschine ab, - aber sein ungünstiger Stern wollte es, daß dieselbe erst eintraf, als die Jury ihre Arbeiten vollendet hatte. Der rechte Augenblick war unwiederbringlich versäumt. Elias Howe, jener andere Erfinder der Nähmaschine, war mit seiner Erfindung auf der Ausstellung rechtzeitig erschienen und neben der seinen die der Originalität entbehrende Nähmaschine von I.M. Singer. Die Berichte über die Ausstellung kannten somit nur zwei amerikanische Erfindungen von Nähmaschinen und für den praktischen Gewinn gab das den Ausschlag. Wenn auch später bei Gelegenheit der Pariser Ausstellung 1855 die Jury laut und sogar mit Unrecht erklärte: "La machine Thimonnier a servi évidemment de type à toutes les machines à coudre modernes!" und wenn sie auch dem Kompagnon Thimonniers, Magnin, eine Medaille erster Klasse zuerkannte, so war doch der effektive Nutzen den Amerikanern zu Teil geworden, die in der Zwischenzeit mit großer Energie, mit bewunderungswürdiger Umsicht die neue Erfindung auszubeuten verstanden. Thimonnier, der seit 1825 unablässig für die Ausbildung der Nähmaschine gearbeitet hatte, sah durch den unglücklichen Zufall auf der Londoner Ausstellung die Frucht seiner Mühe und Arbeit vernichtet. Gebeugt zog er sich nach Amplepuis zurück und starb dort am 5. August 1857, in ein Alter von 64 Jahren. Die einzige Freude für seine Lebensarbeit bereitete ihm jener Ausspruch der Jury bei der Exposition in Paris 1855.
Wenn auch niemals gewagt werden darf, dem unglücklichen Thimonnier; dessen Leben so recht das Abbild des Lebens eines unermüdlichen Erfinders gibt, welcher alles, sein Lebensglück, seine Familie, seine bürgerliche Stellung der Realisation seiner Idee hintenansetzt, - so können wir doch in jene ruhmrednerische Manier der französischen Schriftsteller nicht einstimmen, welche will, daß alle späteren Nähmaschinen auf der Konstruktion der des Thimonnier basierten; vielmehr ist es erwiesen, daß weder Walter Hunt noch Elias Howe noch A.B. Wilson irgend eine Kenntnis von der Thimonnier'schen Nähmaschine hatten, sondern ihre Erfindungen selbstständig machten. …

Quelle:

Grothe, Hermann: Bilder und Studien zur Geschichte der Industrie und des Maschinenwesens,
Verlag von Julius Springer, Berlin, 1870 - (Text größtenteils in der Ausdrucksweise belassen.)

Funktionsbeschreibung der Thimonnier'schen Maschine. (Zitat von H. Richard, 1887)

Der Stich, welcher vermittelst der Maschine hergestellt wird, ist der Kettenstich. Die Nadel, die von oben durch das Zeug hindurchsticht, hat an ihrer Spitze einen Haken, in den sich beim Aufgange der unten befindliche Faden hineinlegt, nachdem er durch einen kleinen Apparat um die Nadel herumgeschlungen ist. Beim nächsten Stich bleibt die so gebildete Schlinge oben auf dem Zeug liegen, die Nadel holt in derselben Weise die zweite Schlinge herauf und führt diese durch die erstere hindurch, wodurch dann der Kettenstich gebildet wird.

Quelle:

Köhler, Dr. Walter: Die Deutsche Nähmaschinenindustrie,
Verlag von Duncker & Humblot, München und Leipzig, 1913 - (Text größtenteils in der Ausdrucksweise belassen.)

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